Unsere Rede wurde in zwei Tageszeitungen veröffentlicht:
- Zum Bericht der KLEINEN ZEITUNG am 3.6.2020
- Zum Bericht der KRONENZEITUNG am 6.6.2020
Das Coronavirus hat unser aller Leben auf den Kopf gestellt. Auch Kinder und Jugendliche haben die strengen Maßnahmen mitgetragen. Das Netzwerk Kinderrechte zieht den Hut vor ihnen.
Liebe Kinder und Jugendliche in Österreich,
ich möchte endlich einmal in der Corona-Zeit nur zu euch sprechen. Wir Erwachsene sind nämlich sehr, sehr froh, dass es euch gibt! Das sollt ihr unbedingt hören. Jedes Kind, jede Jugendliche und jeder Jugendlicher in Österreich ist uns wichtig: Du bist uns wichtig!
Viele von euch sind in den letzten Wochen das erste Mal nach zwei Monaten wieder in die Schule gegangen. Schauen wir deshalb heute nochmals gemeinsam zurück auf die Zeit seit Mitte März: Das Corona-Virus hat unser aller Leben auf den Kopf gestellt. Es hat das Leben von uns Erwachsenen auf den Kopf gestellt. Aber es hat vielleicht noch viel mehr euer Leben auf den Kopf gestellt. Es liegen zwei Monate hinter uns, die vor allem anders und meist auch schwierig und unangenehm waren.
Ihr habt bei allen strengen Maßnahmen mitmachen müssen: Ihr habt nicht mehr in die Schule gehen können. Die Jüngeren von Euch wurden nicht mehr in den Kindergarten gebracht. Die Älteren von euch konnten ihre Lehre oder ihre Arbeit nicht fortführen oder haben ganz ihren Job verloren. Kein Sportverein, kein Fußballplatz, keine Musikstunden, kein Spielplatz mehr. Plötzlich habt ihr viel mehr zuhause bleiben müssen. Ihr und eure ganze Familie, mit der ihr zusammenwohnt. Da war manchmal nicht genug Platz, damit ihr ganz alleine sein konntet. Vielleicht habt ihr nicht einmal ungestört telefonieren können. Eure Freunde und Freundinnen habt ihr nicht schnell im Park, am Platz treffen können. Es ist übrigens ganz normal, dass es in so einer Zeit auch mehr Streitereien gibt, zwischen Mama und Papa, zwischen euch und Mama, Papa, der Schwester oder dem Bruder.
Wir Erwachsene waren besorgt. Besorgt, dass in der Familie alle gesund bleiben, die Oma, der Opa. Besorgt, wie es in unserer Arbeit weitergeht. Besorgt, ob zuhause noch genug Geld für die Miete, für das Essen, für das Gewand übrigbleibt. Besorgt, dass es euch, den Kindern und Jugendlichen, trotz allem noch gut geht. Es war nicht leicht. Gerade ihr solltet nicht solche schwierigen Situationen durchleben müssen. Kinder und Jugendliche brauchen Bewegung, brauchen Freiheit, brauchen Sicherheit, brauchen Intimsphäre, brauchen Freundschaften. All das habt ihr nicht gehabt. Das tut mir leid, und dafür möchte ich mich bei euch auch entschuldigen. Gleichzeitig will ich euch aber Danke sagen. Ihr habt Abstand gehalten. Ihr habt die Hygiene-Maßnahmen toll mitgetragen und tut das noch immer.
Jedes Kind, jede Jugendliche und jeder Jugendliche von 0 bis 18 Jahre hat das Recht, ohne Gewalt aufwachsen zu dürfen. Niemand darf euch wehtun, das ist in Österreich verboten. Leider halten sich nicht alle Erwachsene daran. Ich hoffe sehr, dass es euch gut geht. Wenn es euch aber nicht gut geht, dann sagt uns Erwachsenen das bitte auch. Wenn ihr merkt, dass der Stress immer größer wird, dann sagt es. Sucht euch eine Person, zu der ihr Vertrauen habt, und erzählt ihr, was euch bedrückt und traurig macht. Das kann hoffentlich die Mama, der Papa, oder jetzt auch wieder eine Lehrerin oder ein Lehrer sein.
Der Alltag wird jeden Tag nun leichter. Vielleicht habt ihr in der Corona-Zeit aber sogar gute Dinge erfahren? Überlegt einmal! Der Schulweg war definitiv kürzer, nur mehr vom Bett zum Handy oder Computer, ein paar Meter maximal? Ihr habt länger schlafen können und musstet nicht immer hetzen, oder? Habt ihr neue Spiele kennengelernt, Bücher gelesen? Seid ihr spazieren gegangen? Habt ihr erstmals die Nachrichten neugierig verfolgt? Vielleicht könnt ihr jetzt nach vielen Stunden Üben einen Spagat machen? TikTok-Tänze vorführen? Bei digitalen Medien und Video-Plattformen seid ihr tausendmal geschickter als wir Erwachsene. Ihr habt euch und eure Lernzeiten selbst organisiert! Gratulation! Habt ihr in den zwei Monaten nachgedacht, was euch wirklich wichtig ist im Leben? Habt ihr die Seele baumeln lassen? Vielleicht. Ich wünsche es euch.
In die Zukunft schauen, das kann niemand von uns. Wir wissen einfach noch nicht, wie es weitergehen wird. Das ist unangenehm, ja. Ich kann euch heute nicht versprechen, ob die Schule, der Kindergarten, die Lehre, die Arbeit, die Vereine, die Jugendtreffs, … ob all das nach dem Sommer wieder so laufen wird wie früher. Ich kann euch heute auch nicht versprechen, dass ihr im Sommer reisen, auf ein Ferienlager fahren könnt. Wie gerne würde ich sagen, umarmen und küssen wir wieder all unsere Lieben! Die Sorgen wegen der Ansteckung sind aber noch da.
Vergessen wir auch nicht, wie es Kindern und Jugendlichen außerhalb von Österreich geht! Viele Kinder und Jugendliche sitzen in Flüchtlingslagern in Griechenland fest. Auch sonst weit weg in der Welt, in Afrika, Asien oder Lateinamerika, trifft Corona voll die Kinder, die schon in eurem Alter arbeiten und ihr tägliches Essen verdienen müssen.
Wir sind froh, dass es euch gibt. Wirklich! Die Lehrer und Lehrerinnen freuten sich schon unglaublich auf Euch in den Klassenzimmern. Eltern waren froh, dass ihr jeden Tag einfach da wart. In der Krise nicht alleine zu sein, macht es leichter sie durchzustehen. Ihr seid der Grund für Eltern, in der Früh aufzustehen, Essen zu machen, an einen Neuanfang zu glauben. Ihr lacht und weint, ihr seid laut und leise, ihr seid grantig und lustig, ihr tobt und springt, ihr tanzt und turnt, ihr seid erfinderisch und ungeduldig, Ihr seid gescheit und einzigartig. Das ist gut so. Danke euch!
Ich wünsche euch alles Gute für die nächsten Tage und Wochen!
Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez für das Netzwerk Kinderrechte Österreich